Raus aus dem Hamsterrad

Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg verabschiedet Grundsätze der Honorarverteilung

Die Delegierten der Vertreterversammlung der KVBW entschieden in ihrer ersten Sitzung 2012 über zukunftsweisende Anträge
Gemeinsam diskutiert und beschlossen: Die Delegierten der Vertreterversammlung der KVBW entschieden in ihrer ersten Sitzung 2012 über zukunftsweisende Anträge.

Durchhaltevermögen und parlamentarische Disziplin war bei der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) am 8. Februar gefragt. Gleich über drei zukunftsweisende Anträge musste entschieden werden und offensichtlich war den Delegierten der baden-württembergischen Ärzteschaft klar, dass das Fortbestehen der vertragsärztlichen Versorgung mutige Veränderungen erfordert. So konnten mit großer Mehrheit die neuen Grundsätze der Honorarverteilung, die Reform der Notfalldienstordnung sowie die Finanzierungsrichtlinien für die RegioPraxis BW verabschiedet werden.

Planungssicherheit durch Leistungsbegrenzung

Lange hatte man darauf gehofft in der Honorarverteilung die regionale Kompetenz wieder zu erlangen. Das Versorgungsstrukturgesetz hat den KVen nun den Weg in die regionale Honorarverteilung frei gemacht. „Einer der Hauptgründe, warum die Honorardiskussionen in der Vergangenheit von schweren Zerwürfnissen begleitet waren, war die ungenügende Einbindung des Plenums in die Entwicklung. Das soll nun anders werden. Die Honorarverteilung wird erstmals in der Geschichte der KVBW gemeinsam mit Ihnen diskutiert und beschlossen und das Ergebnis anschließend gemeinsam getragen und da, wo Mängel sind, wird gemeinsam nachgebessert“, eröffnete der Vorstandsvorsitzende Dr. Norbert Metke die Diskussion um die Honorarverteilung.

Metke betonte, dass die neue Honorarverteilung dem Grundsatz der Stabilisierung folgen werde. „Wir machen Schluss mit der permanenten Umverteilung innerhalb und zwischen den Fachgruppen. Damit geben wir den Ärzten und Psychotherapeuten Planbarkeit und Kalkulationssicherheit zurück und bringen Stabilität in die Honorarsystematik. Wir werden vorhersehbare Honorare schaffen frei nach dem Motto: Begrenztes Geld hat begrenzte Leistung zur Folge. Nur so kommen die Ärzte raus aus dem Hamsterrad.“

Geschäftsführerin Susanne Lilie erläuterte die Vorgehensweise und die Handlungsfelder, in denen Entscheidungsspielräume bestehen. „Wir werden in jedem Bereich, in dem wir Handlungsspielräume haben, prüfen, wie wir diesen nutzen können, um so wenig Umverteilung wie möglich vornehmen zu müssen.“ Nahezu einstimmig beauftragten die Delegierten Vorstand und Verwaltung mit der Umsetzung des Honorarverteilungsmaßstabs. Im nächsten Schritt sollen dann alle Berufsverbände für die fachgruppenbezogenen Details und die Beratenden Fachausschüsse für die übergreifenden Themen eingebunden werden. Bis Mitte April wird ein konkreter Vorschlag ausgearbeitet sein, der am 9. Mai abschließend beraten werden soll.

Neue Bereinigung der Facharzt-Selektivverträge

Selektivverträge sind aus Sicht des Vorstandes als Mittel, das zusätzlich Geld für die Versorgung der Patienten ins System bringt, für den Arzt und den Patienten nur zu begrüßen. Auch für Selektivverträge gilt die Prämisse, dass die Bereinigung nicht zu Lasten der Gesamtheit gehen darf. Gerade für die Facharztverträge hat die Vertreterversammlung nun eine neue Bereinigungssystematik beschlossen, die der bisherigen Bereinigung vorgeschaltet wird. Danach soll die Bereinigung situativ, das heißt nach Inanspruchnahme des Arztes durch den Patienten durchgeführt werden. Diese Systematik war nicht unumstritten. Vor allem seitens der Psychotherapeuten wurde Kritik laut, da auch Selektivverträge für Psychotherapeuten davon betroffen sind. Die Delegierte Dr. Birgit Clever bat darum, keine Grundsatzentscheidungen zu fällen, ohne die Konsequenzen im Detail zu kennen. Dennoch wurde der Vorschlag des Vorstandes zur akutsituativen Bereinigung mit großer Mehrheit angenommen.

VV beschließt Änderungen der Notfalldienstordnung

Mit Spannung wurde die Änderung der Notfalldienstordnung erwartet. Bereits im Oktober hatte die Vertreterversammlung einer Neuordnung des Notfalldienstes zugestimmt. Der stellvertretende Vorsitzende, Dr. Johannes Fechner, informierte über die laufenden Aktivitäten in den Stadt- und Landkreisen. „Wir sind in engem Kontakt mit den Notfalldienstbeauftragten in den Regionen. Die Vorbereitungen für die neuen Gebietszuschnitte laufen auf Hochtouren“, so Fechner.

Um die neue Struktur umsetzen zu können, bedarf es auch einer Anpassung der Notfalldienstordnung. Die Delegierten haben nach intensiver Diskussion den Änderungen mit einer Zweidrittel-Mehrheit zugestimmt: Künftig wird der Vorstand der KVBW die Kreisbeauftragten für den Notfalldienst benennen. Vorschlagsrecht haben die Bezirksbeiräte der vier Bezirksdirektionen sowie die im Stadt- oder Landkreis vertretenen Ärzteschaften.

Grünes Licht gaben die Delegierten nach intensiver Diskussion auch zur Einführung eines organisierten Notfalldienstes an Werktagen von 19 Uhr bis 7 Uhr. Dr. Fechner stellte klar, dass parallel eine kollegiale Vertretung weiterhin möglich ist, allerdings lägen die Vorteile des organisierten Notfalldienstes auf der Hand: Möglichkeit der fachgruppenfremden Vertretung, Abrechnung außerhalb des Regelleistungsvolumens, Strukturpauschale von 7,50 Euro, Reduktion der Dienstbelastung sowie die einfache Umsetzung der Rufnummer 116117. Eine weitere Änderung betrifft die Einrichtung von Notfallpraxen. Künftig können Notfalldienstkommission oder Vorstand die Bildung von zentralen Notfallpraxen initiieren.

Freigabe der Förderrichtlinie für die RegioPraxis BW

Auch in Sachen RegioPraxis BW ging es weiter voran. Hier galt es, die Förderrichtlinien für die RegioPraxen, hausärztlich orientierte Ärztezentren in unterversorgten Gebieten, zu verabschieden. Das Projekt ist begrenzt auf 500.000 Euro und 4 Standorte. Noch in diesem Jahr sollen bis zu zwei Praxen an den Start gehen. Die Förderung setzt sich aus verschiedenen Komponenten zusammen. Bis zu vier Hausärzte pro RegioPraxis erhalten eine Gründungspauschale in Höhe von je 25.000 Euro. Für die Errichtung einer Nebenbetriebsstätte gibt es bis zu 20.000 Euro pro beteiligter Praxis. Ergänzt wird die Förderung durch eine Strukturpauschale in Höhe von 3.000 Euro je Abrechnungsquartal. Weitere 3.000 Euro gibt es für die Beschäftigung eines angestellten Arztes, das allerdings zunächst nur für drei Jahre. Die Fördermittel werden von der Ärzteschaft selber aufgebracht. Der Finanzausschuss gibt die Mittel pro RegioPraxis frei. Nach der Evaluation des Projekts sollen Krankenkassen, Kommunen und das Land in die Förderung integriert werden. Die Förderrichtlinien wurden einstimmig verabschiedet.

Die Einbindung der Ärzteschaft in zukunftsweisende Entscheidungsprozesse kommt an. Auch Entscheidungen, die Mut erfordern, werden von den Delegierten unter ihrem Vorsitzenden Dr. Frank-Dieter Braun konstruktiv begleitet und mehrheitlich unterstützt. VV-Mitglied und Bezirksbeirat Dr. Michael Barzcok regte an, auch die Öffentlichkeit frühzeitig in die Kommunikation einzubeziehen: „Wenn wir die Neuerungen gezielt mitteilen und unsere Entscheidungen nachvollziehbar begründen, werden sie auch von einer breiten Mehrheit akzeptiert.“