Was muss noch passieren, damit dringende Änderungen angegangen werden?

KVBW-Vorstand sieht dringend Handlungsbedarf, um Versorgung weiter aufrecht zu erhalten.

Der Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) sieht dringenden Handlungsbedarf angesichts der aktuellen Versorgungsengpässe. „Die letzten Wochen haben gezeigt, dass wir in der ambulanten Versorgung so nicht weitermachen können. Die Praxen laufen über, es fehlt der Nachwuchs, die Versorgungslücken werden immer größer. Was muss also noch passieren, damit wir endlich die bestehenden Rahmenbedingungen in Frage stellen und anpassen“, erklärte der KVBW-Vorstandsvorsitzende Dr. Karsten Braun. „Es kann doch nicht sein, dass wir immer noch eine Politik fahren, die in einer Mangelsituation ärztliche und psychotherapeutische Leistungen und Behandlungen verhindert. Dazu gehören beispielsweise die Budgetregelungen. Die Absicht eines Budgets ist immer eine Leistungsbegrenzung. Ist das bei den derzeitigen Versorgungsengpässen und Ärztemangel wirklich noch zeitgemäß?“ 

Die stv. Vorstandsvorsitzende Dr. Doris Reinhardt sieht hier inzwischen absurde Formen. „Fast alle Leistungen der Haus-, Kinder- und Jugendärzte können seit einigen Jahren in Baden-Württemberg aufgrund einer Sondersituation im Land ohne Budgetbeschränkungen ausbezahlt werden. Aber trotzdem sind einige Leistungen weiterhin beschränkt. Das betrifft etwa das hausärztliche Gespräch. Für ein mindestens zehnminütiges Gespräch, das bei schweren Erkrankungen oder besonderen Problemlagen erforderlich ist, können Haus- und Kinderärzte 14,71 Euro abrechnen. Das ist schon lächerlich wenig und zeigt die Bedeutung, die einem Gespräch beigemessen wird. Dieser Betrag wird aber nur bei jedem zweiten Patienten überhaupt vergütet. Konkret: Für die Hälfte der Patienten ist es also nicht erwünscht. In Anbetracht der Vielzahl der Beratungsanlässe ist das absurd und inakzeptabel.“

Heutige Vergütungsregelungen bilden den Praxisalltag nicht mehr ab

Für Braun hat das gravierende Folgen, insbesondere auch im fachärztlichen Bereich: „Die heutigen Vergütungsregelungen bilden den Praxisalltag nicht mehr ab. Denn sie berücksichtigen nicht, dass Patienten in einer älter werdenden und multimorbiden Gesellschaft in einem Quartal mehrfach aufgrund verschiedener Erkrankungen oder Verletzungen in eine Praxis kommen. Wenn aber alles in ohnehin geringen Pauschalen untergeht oder wegen Budgets nicht bezahlt wird, muss man sich nicht wundern, wenn kein Anreiz für ein Mehr an Versorgung besteht. Dies ist in der derzeitigen Versorgungslage kontraproduktiv. Und sie berücksichtigen nicht, dass für den Praxisbetrieb immer mehr Personal erforderlich ist, das auch für umfassende Organisation, Koordination und Verwaltung benötigt wird, also aus der Vergütung für die Behandlungen bezahlt werden muss. Die Konsequenz ist einfach: Es gibt mehr junge Ärztinnen und Ärzte, die nur noch als Angestellte tätig werden wollen, dann müssen sie sich um all diese Fragen nicht kümmern. Doch auch die Bezahlung dieser angestellten Ärzte ist in der vor Jahren festgelegten Bewertung ärztlicher Arbeit nicht wirklich abgebildet.“ Der Vorstand der KVBW verbindet dies mit der Forderung nach Abschaffung der Budgets und vollem Inflationsausgleich.

Dr. Reinhardt sieht vor diesem Hintergrund einen grundlegenden Änderungsbedarf, der weit über Vergütungsfragen hinausgeht. „Noch immer haben wir im Gesundheitswesen eine Misstrauenskultur, die dazu führt, dass die Ärzte alle Tätigkeiten mit einem hohen Verwaltungsaufwand dokumentieren und rechtfertigen müssen. Das kostet Zeit, die der Patientenversorgung fehlt. Davon müssen wir wegkommen. Wir müssen uns mehr denn je darauf konzentrieren, dass die Ärzte und Psychotherapeuten ihrer Tätigkeit nachgehen, nicht sie davon abzuhalten.“