OrthoKids-Studie: Hohe Zahl orthopädischer Fehlstellungen bei Kindern

Orthopädische Vorsorgeuntersuchung dringend empfohlen

Die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) hat am Donnerstag gemeinsam mit den Projektpartnern in Berlin die Ergebnisse ihres bundesweit einmaligen Präventionsprojekts 
OrthoKids vorgestellt. Diese belegen eindeutig die Notwendigkeit einer regulären orthopädischen Vorsorgeuntersuchung für Kinder zwischen zehn und 14 Jahren, um Skoliose und andere Erkrankungen des Bewegungsapparates frühzeitig zu erkennen. 

„Erkrankungen am Stütz- und Bewegungsapparat bei Kindern und Jugendlichen sind die große Schwachstelle in der Prävention“, betonte KVBW-Vorstandsvorsitzender Dr. Karsten Braun bei der Ergebnispräsentation. Zwischen dem zehnten und 14. Lebensjahr durchlaufen Kinder entscheidende Wachstumsphasen ihres muskuloskelettalen Systems. In der Regelversorgung ist bislang keine spezifische orthopädische Vorsorgeuntersuchung in dieser Altersspanne vorgesehen. Viele Fehlstellungen der Wirbelsäule, Beine und Füße bleiben daher bei den üblichen Kinderuntersuchungen (U- und J-Checks) unentdeckt. „Während Augen, Ohren, Zähne und Stoffwechsel längst einen festen Platz in den pädiatrischen Screening- und Früherkennungsprogrammen haben, bleibt der Bewegungsapparat – das Fundament unserer Mobilität – weitgehend sich selbst überlassen“, kritisierte Braun. 

Fast 12.000 Teilnehmer 

Ziel des OrthoKids-Projektes war es, den Sinn und Nutzen einer orthopädischen Vorsorgeuntersuchung zwischen dem zehnten und 14. Lebensjahr wissenschaftlich zu untersuchen. Projektpartner der KVBW waren die Orthopädie im Olgahospital des Klinikums Stuttgart, das Fraunhofer Institut für Offene Kommunikationssysteme FOKUS und das Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie (IGKE) der Uniklinik Köln. Als Kooperationspartner engagierten sich der Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie (BVOU), die AOK Baden-Württemberg, die Techniker Krankenkasse (TK), das Landesgesundheitsamt sowie diverse Sportverbände.

Innerhalb von rund zwei Jahren haben knapp 12.000 Kinder und Jugendliche an OrthoKids teilgenommen, die von rund 300 Orthopädinnen und Orthopäden in Baden-Württemberg untersucht und behandelt wurden. Sowohl in den teilnehmenden Orthopädiepraxen wie auch in Schulen und in Sportvereinen wurden Screenings angeboten. Die jungen Projektteilnehmenden konnten eine spezielle OrthoKids-App nutzen, in der es viele Übungsvideos und Informationen zu Sport und Bewegung gab. Die ganzheitliche IT-Lösung für das Teilnehmer- und Datenmanagement stellte Dr. Michael John, Projektleiter Telehealth Technologies am Fraunhofer FOKUS, vor. Ein Jahr nach dem Screening gab es eine Kontrolluntersuchung, um Veränderungen zu dokumentieren.   

Effektivität des Screenings eindeutig nachgewiesen

Die Ergebnisse zur Effektivität des Screenings sind nach Ansicht von Prof. Dr. Stephanie Stock (Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie der Uniklinik Köln) eindeutig. „Bei drei der vier im Rahmen des Screenings untersuchten Fehlstellungen (Skoliose, Beinachsenabweichungen und Knick-Senk-Fuß) wurden im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung deutlich höhere Prävalenzen gefunden als in der historischen Kontrollgruppe: Bei der Skoliose beispielsweise wiesen rund sechs Prozent der Kinder mit OrthoKids-Vorsorgeuntersuchung eine Skoliose auf – fast sechsmal so viele wie in der historischen Kontrollgruppe aus Kassendaten (1,1 %). Die Vorsorgeuntersuchung wurde sowohl von Orthopäden als auch von den teilnehmenden Eltern und Kindern gut angenommen“, freute sich Stock. 

Stock führte aus, dass OrthoKids eines der wenigen Innovationsfondsprojekte ist, in deren Rahmen Fallzahlen in fünfstelliger Höhe erreicht werden konnten. 
Auch wurden in der Befragung der Orthopäden und Eltern keine K.-o.-Kriterien für die Ausrollung in die Regelversorgung deutlich. Da das Kosten-Nutzen-Verhältnis zudem in einem international akzeptablen Bereich liegt, sind die Voraussetzungen für eine Implementierung in die Regelversorgung durchaus vielversprechend. „Um dazu eine definitive Aussage machen zu können, fehlen uns aber Daten zur Langzeitbeobachtung“, führte Stock weiter aus. Daher sollten zukünftige Projekte zu neuen, präventiven Versorgungsformen im Kindes- und Jugendalter eine Nachverfolgung mindestens bis zum Abschluss der Wachstumsphase vorsehen. 

Auch Prof. Thomas Wirth, ehemaliger Ärztlicher Direktor der Orthopädischen Klinik am Olgahospital im Klinikum Stuttgart, stellte den präventiven Wert der Untersuchung heraus. „Je früher eine Skoliose diagnostiziert wird, desto größer ist die Chance auf eine erfolgreiche konservative Therapie und auf die Vermeidung langfristiger Folgen oder Operationen.“ Dass in OrthoKids ein Vielfaches an Wirbelsäulen- und Beinachsenfehlstellungen aufgedeckt wurde, die in der Regelversorgung schlicht übersehen werden, zeige, wie notwendig eine Vorstellung beim Orthopäden als dem Spezialisten für den Bewegungsapparat ist. 

Aufnahme der orthopädischen Vorsorge in den Regelkatalog diskutiert

Die abschließende Expertenrunde diskutierte die Chancen einer Aufnahme der orthopädischen Vorsorgeuntersuchung in den Regelkatalog. BVOU-Präsident Dr. Burkhard Lembeck bekräftigte, dass eine so zentrale Gesundheitsvorsorge wie das Screening am muskuloskelettalen System von Kindern durch einen Fachspezialisten in den Leistungskatalog aufgenommen werden müsse. 

Auch Dr. Katja Plückelmann vom Bundesverband Skoliose betonte, wie bedeutsam eine frühzeitige Vorsorgeuntersuchung ist. „Zwischen dem zehnten und 14. Lebensjahr finden besonders viele körperliche Veränderungen statt. Wir beklagen schon seit langem, dass Skoliosen häufig zu spät festgestellt und diagnostiziert werden. Die Ergebnisse von OrthoKids bestätigen unsere Einschätzung und die Notwendigkeit einer Vorsorgeuntersuchung in dem sehr langen Zeitraum zwischen der U10 und der J1.“

Karin Maag vom G-BA unterstrich den Wert von Innovationsfondsprojekten wie OrthoKids: „Solche Projekte können mögliche Verbesserungsbedarfe und -potenziale in der Regelversorgung aufzeigen und liefern wissenschaftlich fundierte Ergebnisse für deren Weiterentwicklung.“   

Auch Nadia Mussa, Leiterin der TK-Landesvertretung Baden-Württemberg, schätzt die Initiative der KVBW: „Es ist wichtig, dass solche Studien stattfinden, um neue Erkenntnisse zu gewinnen. Deshalb war die TK gerne als Partner mit dabei.“ Noch sei unklar, ob bzw. unter welchen Bedingungen das Screening auch langfristig zu den gewünschten Projekterfolgen führe. Deshalb müssten vor einem großflächigen Einsatz weitere Modalitäten geklärt werden.

Für KVBW-Vorstand Dr. Karsten Braun steht der Sinn und Nutzen einer orthopädischen Vorsorgeuntersuchung außer Frage: „Gesundheitspolitisch ist es kaum vertretbar, hier nicht aktiv zu werden. OrthoKids beweist, dass die Untersuchung praktikabel, akzeptiert und wirksam ist. Viele Kinder und Jugendliche haben teilgenommen – trotz des Aufwands, trotz bestehender Vorsorgeuntersuchungen. Das zeigt den Bedarf und die Akzeptanz.“  

Letzte Aktualisierung: 31.10.2025