Mit Kreativität gegen den Ärztemangel

Versorgungsbericht 2011 vorgestellt

Die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) hat am Mittwoch in Stuttgart den Versorgungsbericht 2011 vorgestellt. Noch bescheinigen die Zahlen Baden-Württemberg eine gute ambulante medizinische Versorgung. Doch auf der Landkarte gibt es die ersten weißen Flecken. Mit geeigneten Maßnahmen wie dem neuartigen Praxismodell regiopraxis KVBW versucht die Kassenärztliche Vereinigung dem Ärztemangel entgegenzuwirken. Die Eröffnung der ersten regiopraxis KVBW findet am Ende dieser Woche statt.

Was in den vergangenen Jahren noch als Panikmache bezeichnet wurde, ist nun Realität geworden. Zwar gilt ganz Baden-Württemberg nach wie vor als planmäßig und damit gut versorgt. Doch innerhalb der insgesamt gut versorgten Bereiche gibt es die ersten weißen Flecken: Das Praxissterben hat eingesetzt. Vor allem im ländlichen Bereich haben selbst gut geführte Praxen Probleme, einen Nachfolger zu finden. Der Ärztemangel ist auch in Baden-Württemberg angekommen.

Schon in den nächsten Jahren Versorgungslücken befürchtet

„Viele Ärzte wollen sich bereits seit längerer Zeit aus dem Berufsleben zurückziehen, finden aber keine Nachfolger für ihre Praxen“, legte Dr. Johannes Fechner, stellvertretender Vorsitzender der KVBW, dar. „Aufgrund dieser Entwicklung können in den nächsten vier Jahren etwa 500 Praxen nicht nachbesetzt werden. Das bedeutet Lücken in der hausärztlichen Versorgung, welche Patienten und verbleibende Ärzte gleichermaßen treffen.“ Fechner erläuterte die Ursachen dieser Entwicklung: „Besonders das Einzelunternehmertum schreckt viele Interessierte ab. Im ambulanten Bereich wünschen sich junge Ärztinnen und Ärzte heute verstärkt Kooperationen und Teamarbeit. Inzwischen sind 60 Prozent der Studienanfänger im Medizinstudium Frauen. Vor diesem Hintergrund gewinnt auch eine ausgewogene Work-Life-Balance mit flexiblen Arbeitszeiten und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zusätzlich an Bedeutung. Hier ist der Arzt in der Einzelpraxis benachteiligt.“

Erste regiopraxis KVBW öffnet noch in dieser Woche

Mit dem neuartigen Versorgungsmodell regiopraxis KVBW reagiert die Kassenärztliche Vereinigung auf die veränderten Umstände, um die ambulanten Versorgung im Land auch weiterhin zu gewährleisten: „Die KVBW wird vom Verwalter zum Gestalter. Wir initiieren eigene Ärztezentren, die besonders auf die Strukturen im ländlichen Raum zugeschnitten sind. Diese Zentren sind hausärztlich orientiert, bieten aber auch Fachärzten - wie etwa Frauenärzten - die Möglichkeit, im Rahmen einer Nebenbetriebsstätte tätig zu werden. Der Arzt in der regiopraxis KVBW hat den Vorteil, dass er die finanzielle Verantwortung für die Praxis nicht mehr alleine übernehmen muss, sondern sie mit anderen teilen kann.“

Die erste regiopraxis KVBW wird am kommenden Freitag in Baiersbronn eröffnet. Mit enormer Fläche und geringer Bevölkerungsdichte eignet sich die Kommune im Schwarzwald hervorragend für einen solchen Modellversuch - sie wäre in naher Zukunft von Unterversorgung bedroht gewesen. Die KVBW fördert Regiopraxen innerhalb der ersten drei Jahre durch Zuschüsse. Allerdings müssen sich diese dafür einem Kodex verpflichten, der für die Praxisausstattung und Praxisführung eine definierte Qualität vorschreibt. Grundsätzlich seien Regiopraxen auch durch das Förderprogramm "Landärzte" des Landes Baden-Württemberg förderungsfähig, wenn die Fördervoraussetzungen vorliegen. ”Beide Fördermaßnahmen ergänzen sich hervorragend“, lobt Fechner. ”Nur gemeinsam mit allen Akteuren können wir es schaffen, die ambulante medizinische Versorgung auch in Zukunft sicherzustellen.“

Maßnahmenpaket

Doch mit neuen Praxismodellen allein ist es nicht getan. Der ärztliche Bereitschaftsdienst ist ein weiterer Hinderungsgrund für die Niederlassung junger Mediziner. Immer weniger Ärzte müssen die Notfalldienste außerhalb der Sprechzeiten schultern und leiden unter der zunehmenden Dienstbelastung. "Aus Untersuchungen wissen wir, dass die Häufigkeit der Notfalldienste, die historisch bedingt regional sehr unterschiedlich sind, ein entscheidender Faktor für die Ortswahl bei der Niederlassung ist.
In Bereichen mit hoher Dienstbelastung finden die Ärzte kaum noch Nachfolger", erläuterte Fechner und führte weiter aus: „Der ärztliche Bereitschaftsdienst soll einer kompletten Neustrukturierung unterzogen werden. Die bisher rund 400 allgemeinärztlichen Notdienstbereiche sollen deutlich reduziert werden. Außerhalb der Sprechzeiten sollen die Patienten in zentralen Bereitschaftsdienstpraxen der KVBW versorgt werden, die möglichst vollzählig an Krankenhäuser angeschlossen sein sollen. Zusätzlich wird ein Arzt im Fahrdienst die Patienten besuchen, die aus medizinischen Gründen nicht in die Bereitschaftsdienstpraxis kommen können. Bis 2014 soll die gesamte Organisation des Bereitschaftsdienstes von der KVBW übernommen werden, mit dem Ziel gleiche Dienstbedingungen für alle Ärzte in Baden-Württemberg zu garantieren.­“

Darüber hinaus ist es der KVBW gelungen, die Versorgungssituation in Baden-Württemberg durch regionale Zusatzverträge mit einzelnen Krankenkassen zu verbessern. Als beispielhaft gilt der Pflegeheimvertrag mit der Barmer GEK, der eine enge Vernetzung der Arztpraxen mit den Pflegeheimen honoriert. Die Hausärzte verpflichten sich dabei, die an dem Vertrag teilnehmenden Patienten gegen eine höhere Vergütung mindestens einmal pro Quartal zu besuchen. In den Vertrag sind zusätzlich auch die Fachärzte für Urologie und Dermatologie einbezogen. Außerdem, war von Fechner zu erfahren, befinde sich die KVBW mit den Kassen in Verhandlung für weitere Verträge.

Nachwuchsrekrutierung

Kam der Nachwuchs früher von alleine, besteht auch hier akuter Handlungsbedarf. Im Rahmen des Projekts "KVBW for students" nimmt die Niederlassungsberatung mit Informationsständen an geeigneten Veranstaltungen der medizinischen Hochschulen in Baden-Württemberg teil. Einmal geknüpfte Kontakte werden an eigens für Studenten ausgerichteten Informationsveranstaltungen vertieft und im Socialweb auf Facebook wach gehalten. Unter www.allgemeinmedizin-bw.de informiert ein Portal von KVBW, Landesärztekammer und Krankenhausgesellschaft rund um die Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin in Baden-Württemberg.

Verbesserung des Serviceangebots

Abschließend betonte Fechner, dass die KVBW ihr umfassendes Know-How im Gesundheitswesen nutzen wolle, um verstärkt Serviceangebote für die Ärzte zu unterbreiten. „In der betriebswirtschaftlichen Beratung, in der Beratung der Praxen in Fragen des Qualitätsmanagements, der Arzneimittelverordnung oder der Abrechnung wollen wir verstärkt unseren Beitrag leisten, damit die Arztpraxen wirtschaftlich gesund sind und der hohe Qualitätsstandard der Versorgung erhalten bleibt. Gleichzeitig wird die KVBW ihre Aufgabe als Interessenvertretung ihrer Mitglieder im Sinne einer Aufrechterhaltung der Versorgung auf Landes- wie auf Bundesebene verstärkt wahrnehmen.“