Mehr Schnittstellen, weniger Therapiesicherheit, problematische Ausgabenentwicklung

Ärzte im Land lehnen Modellversuch Physiotherapie mit „Pseudoarzt light“ als Experiment am Kranken ab

Der Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg, Dr. med. Norbert Metke, Vertreter der über 21.500 Ärzte und Psychotherapeuten im Land, hat heute in Stuttgart harsche Kritik am vom Gesetzgeber vorgesehenen Modellversuch Physiotherapie geübt. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll es den Physio­thera­peuten ermöglicht werden, nach ärztlicher Diagnosestellung die Therapie, vor allem aber deren Dauer, ohne ärztliche Kooperation festzulegen.

Keine Experimente am Patienten

„Physiotherapie ist auch im längerfristigen Verlauf einer Erkrankung nur eine von vielen Therapiemöglichkeiten. Häufig müssen gar keine Maßnahmen ergriffen werden, statt­dessen ist in solchen Fällen ein Gespräch, eine Medikation oder operative Versorgung oder auch eine psychotherapeutische Behandlung angebracht. Die Auswahl, welche Therapie für die spezifischen Beschwerden des Patienten geeignet ist, hat in Abwägung zueinander alleine der Arzt erlernt. Wir begrüßen grundsätzlich die sog. Blankoverordnung, in welcher der Physiotherapeut abhängig vom Verlauf einer Erkrankung die Behandlung selbst auswählt.“

Der stellvertretende Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg, Dr. Johannes Fechner, ergänzt: „Oft ist es nach initialer Diagnosestellung und beim Aufstellen einer Verdachtsdiagnose gerade der Verlauf der Symptome, der die Richtigkeit der Diagnose bestätigt oder widerlegt. Nur der Arzt mit 12-jähriger Ausbildung hat das gesamte Spektrum der Medizin erlernt. Daher kann in der Regel nur er die umfängliche, ggf. korrigierte Diagnose stellen. Die Festlegung der Therapiedauer entzieht dem Arzt die Kontrollmöglichkeit im bisherigen Umfang und führt damit zu weniger Therapiesicherheit des Patienten. Wir sehen in der Ausgestaltung des Modells daher ein Experiment am Kranken, das wir ablehnen.“

Problematische Ausgabensteigerung

Der Präsident des Berufsverbands für Orthopädie und Unfallchirurgie e. V. (BVOU e. V.), Dr. Johannes Flechtenmacher aus Karlsruhe, ergänzt: „Schon heute ist die Physiotherapie Preistreiber Nummer eins in den Gesundheitsausgaben mit einer jährlichen Steigerung von durchschnittlich ca. 8 Prozent. Wer, so der Gesetzgeber, die unbegrenzte Dauer der Therapie wünscht, kann sich auch nicht über eine entsprechende Ausgabenentwicklung beschweren. Wer darüber hinaus mehr Patientenkoordination und weniger Schnittstellen fordert, erweist sich einen Bärendienst mit dem eingeschlagenen Weg und schießt das klassische Eigentor. Zu Lasten des Patienten.“

Dr. Metke abschließend: „Der Modellversuch geht in die falsche Richtung. Zudem ist festzustellen, dass bei fehlgeschlagenen Behandlungsverläufen zukünftig nicht mehr der Arzt alleine, sondern schwergewichtig der Physiotherapeut haftet. Dennoch gehe ich davon aus, dass der Großteil der Physiotherapeuten im Land auch zukünftig die bisherig bewährte Koordination zwischen Patient, Arzt und Physiotherapeut wählen wird, um gemeinsam Diagnose, Dauer der Therapie unter Federführung des Arztes zu gestalten.“